19 Dezember 2011

Melancholia

(2011, R: Lars von Trier)

Blaues Licht in kühler Atmosphäre..., ein schwaches Beben erschüttert die Erde begleitet von einem leichten Wind. Es wird heller und die Musik immer lauter. Das Ende der Welt rückt mit jeder Sekunde näher. Zehn dürre Äste, in Form eines leinenlosen tipiartigen Zeltes, sollen drei Menschen - Justine, Claire und ihren Sohn Leo - vor dem Zusammenprall mit dem Planeten Melancholia beschützen...
So endet die Welt der Schwestern Justine und Claire und Lars von Triers Melancholia. Was würde man tun, wenn man wüsste, dass das Ende der Welt ein paar Stunden entfernt ist? Würde man die letzten Stunden geniessen? Schlafen? Selbstmord begehen?
Die Schwestern Justine und Claire hätten nicht unterschiedlicher sein können. Vielleicht wird Melancholia aus diesem Grund in zwei Teilen dargestellt, jedes einer der beiden Schwestern gewidmet. Die ersten, eher langsamen, irgendwie gehaltenen und fast statischen Bildern in Melancholia weisen schon auf das eigentliche Ende. Dennoch, und wie im Kontrast dazu, beginnt der Film mit einem glückseligem Ereignis: die Hochzeit von Justine und Michael. Die ersten wackeligen Bilder zeigen ein junges, glückliches, frisch verheiratetes Ehepaar. Auffallend ist Justines sorgloses Lächeln, das sich durch die kleinen Katastrophen ihrer Hochzeit nicht unterkriegen lassen. Das ist der erste Eindruck, der von ihrer zynischen Mutter schon bald aufgedeckt wird: Justine ist trotz der teueren, perfekt geplanten Hochzeit nicht endlos glücklich. Der perfekten Braut wird Perfektion abverlangt: ihr Chef Jack will von ihr, dass sie keine arbeitsunfähige Braut ist. Sie soll gut gelaunt sein, sich benehmen, tanzen, Torte schneiden, Tante Stahlbrecher sein und immer für alle da sein. Diese ihr gewünschte glückliche Schicksal scheint der gleiche wie der ihrer Schwester zu sein. Claire ist mit dem wohlhabenden John verheiratet ist und zeigt, dass sie das Durchhaltevermögen besitzt um in den schlimmsten Momenten ihre Liebsten selbstlos zu beschützen. Wenn man sich an Claire orientiert, frage ich mich, was wohl mit Justine am Tag ihrer Hochzeit los ist. Warum kann sie sich nicht ein paar Stunden zusammenreissen? Warum kündigt sie ihren Job, streitet sich mit Michael und zieht sich stundenlang auf ihrer Hochzeit zurück?
Im zweiten Teil des Films, der Claire gewidmet ist, entpuppt sich Justines Charakter als dem ihrer Mutter erstaunlich ähnlich: kalt, gefühllos, egoistisch, zynisch, satirisch, beissend, spitz und manchmal spöttisch. Ihre scharfe Zunge verursacht ihr weder ein schlechtes Gewissen noch Probleme. Zurück zur Hochzeit: Justine wehrt sich gegen ihr vermeintliches Schicksal. Sie versucht es zweifelhaft, doch ihre Hochzeit spitzt sich auf einen Moment zu, in dem sie aufhört zu strahlen. Sie ist von ihrem Braut-Lächeln erschöpft und kann es nicht mehr verdecken. So ist sie. Sie flüchtetnach draussen, wo ihr Blick magnetisch nach oben gezogen, und wo sie von der Kamera - nun nicht mehr wackelnd - beobachtet wird. Der Ausdruck ihrer Augen bewegt sich zwischen Melancholie, Leere und Kälte. Die Hochzeit wird nicht jenes ersehnte, grosse und glückliche Ereignis, sondern eine Katastrophe. Justines persönliche Welt bricht in sich zusammen, ein Vorwegnahme des kurz bevorstehenden Weltuntergangs.
Dancer in the dark, der fast zehn Jahre zurückliegt, unterzeichnete unter anderem Lars von Triers Verlangen nach authentischen Filmen. Auch in Melancholia behält er -wenn auch nur teilweise- die erschütterungsreiche und damit dokumentarische Kameraführung bei, die ihm zum Spannungsaufbau dient. Durch das Zusammenspiel von Gegensätzen und das Behandeln tiefgründiger Themen wir Liebe, Familie, Leben und Tod, schafft Lars von Trier es auf seine ganz eigene Weise, eine emotional geladene und von Verzweiflung geprägte Spannung aufzubauen. Die offensichtliche Erweiterung der technischen und filmischen Möglichkeiten und der Auftritt durchaus bekannter Schauspieler, scheint seine alten Richtlinien - der Reduktion auf das Wesentlichste - in Frage zu stellen. Haben wir nun bei Lars von Trier mit einer neuen Produktionsweise zu rechnen? Melancholia jedenfalls kann mit seinem herzzerreissenden und emotionalen Spiel diese These nicht bestätigen.

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