26 Februar 2012

Berlinale!?

Ja, da war ich.
Ja, es war toll!
Ja, es sind neue Kritiken dazu geschrieben worden.
Nein, die gibt es bis zur Erscheinung des Kinoheftes Nr. 7 nicht online.
Dafür andere.
Irgendwann.
Bald.





06 Februar 2012

The Artist


(FR 2011, R: Michel Hazanavicius)

The Artist 



Ilona Royce Smithkin ist eine bekannte Stil-Ikone und impressionistische Künstlerin. Die 91-Jährige wirkt wie ein bunter, extravaganter Paradiesvogel und erinnert an Hal Ashbys’ Maude. Sie ist bekannt für ihre bunte, ausgefallene Garderobe und, vor allem, für ihre einzigartigen langen roten falschen Wimpern.

George Valentin ist ein gefeierter Stummfilm-Hollywoodstar der 20er Jahre. Er geht immer aufrecht, sprudelt von Selbstüberzeugung, beherrscht den perfekten Einsatz seiner Augenbrauen und hat immer ein strahlendes Lächeln parat. Nach einer seiner ausverkauften Premieren landet Peppy, eines der vielen Mädchen, die Georges Fangemeinde bilden, zufällig auf einem Foto mit ihm und sorgt für Neugier in der Presse am nächsten Tag: „Who’s that girl?

Peppy Miller ist das Aufsehen bewusst und nutzt die Chance aus, indem sie spontan bei  Valentins Filmproduktion als Extra kandidiert. Als sie dabei eines Tages auf George trifft, bekommt sie von ihm ein aufgemaltes Muttermal, was später zu ihrem Markenzeichen wird. Nach und nach ergattert sie immer wichtigere Filmrollen. Als nach einiger Zeit Stummfilme von Talkies abgelöst werden, ergreift Peppy die Chance und schlüpft in den Aschenputtel-Schuh. Sie wird der neue Hollywoodstar.

Parallel zu Peppys Aufstieg erlebt George dagegen einen Misserfolg nach dem anderen. Nachdem er sich negativ gegenüber den neuen Talkies-Filmen positioniert und sich lieber an den alten Stummfilmen festhält, beginnt alles abwärts zu gehen: kaum jemand besucht seine Premieren und interessiert sich für seine Filme, er wird von seiner Frau verlassen und geht schliesslich Pleite. Sein Versagen wird in The Artist durch regnerisches Wetter, seine ungekämmte Strähne und schlechtes Licht dargestellt. Der darstellerische Höhepunkt  seiner Krise kommt in seinem Film „Tears of love“, wo er im Sand untergeht, von seinem eigenen Schatten verlassen wird und schließlich das „Exit“-Schild hinter ihm zu sehen ist. Parallel dazu werden seine persönlichen Objekte versteigert. Peppy ist einer der wenigen Mitmenschen, der hilfsbereit immer wieder auf George zugeht, was in ihm einen Kampf zwischen Stolz und der Bereitschaft Hilfe anzunehmen erzeugt.

Aufrechtes Gehen, wippender Gang, Hände auf den Hüften, das makellose Gesicht, die perfekt sitzende Frisur, das immer-zum-Zwinkern-bereite-Auge und viel Charisma: in The Artist zeigt Michel Hazanavicius, was die Austrahlung eines Künstler ausmacht. Der Erfolg oder Misserfolg dieser Aura hängt von der Anerkennung des Publikum ab. Berühmtheiten kommen und gehen. Ist das Alte aufgebraucht, zielt die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf das Neue. So funktioniert Hollywood! 

Ein Markenzeichen dient dazu, sich von der großen gleichmäßigen Menge abzuheben. Das beweisen Peppys Schönheitsfleck und Ilonas rote Wimpern. Beide Künstlerinnen’ haben eine eigene Ausstrahlung, jede auf ihrer Art. Während Peppy den perfekten Filmstar in Schwarz/Weiß darstellt, fuchtelt Ilona in ihrem kleinen chaotischen Zimmer mit bunten Tüchern und redet davon, wie Farben Freunde werden können. Während George mit dreißig daran nagt, Teil des alten Plunder zu sein, blüht die drei mal so alte Ilona unter dem Motto „as we get older, we get better!“ erst recht auf.

 Sicherlich ging es Hazanavicius nicht darum, eine tiefgreifende oder originelle Geschichte zu erzählen. The Artist ist ein nostalgischer Quasi-Stummfilm über Hollywood, in dem sogar die Hässlichen schön sind. Er erinnert uns an den Reiz vergangener Filmepochen und zeigt, dass Stummfilme keineswegs langweilig sein müssen. Leider wird durch die Alt-Hollywood-Thematik auch an die damaligen Werte erinnert: Anerkennung durch fremde Urteile, Streben nach Perfektion, etc. Und wenn ich daran denke, freue ich mich um so mehr über die Tatsache, dass es noch mehr Künstler wie Ilona gibt. 

26 Januar 2012

Verblendung

(2012, R: David Fincher)

Schönheitsmankos

Letzten Freitag Abend, der scherzhaft mit dem 13. übereinstimmt, ereigneten sich eigenartige Begebenheiten im bekanntesten Blockbuster-Kino in Weimar. Im Kinosaal 1 warf ein noch nicht identifiziertes Individuum unter unbekannten Umständen und Gründen, und unbekannter Methode und genauem Zeitpunkt seinen noch gefüllten Softdrink-Becher gegen die Leinwand. Dadurch ist im oberen rechten Teil der Leinwand ein Fleck entstanden, der die Fläche von ca. 1 qm bedeckt und die Form einer verstreuten Träne hat. Demnächst sollen 10.000-Euro teure Putzkräfte zur Beseitigung des Sachschadens zum Einsatz kommen. Dennoch wurde das Kino am nächsten Tag fleißig besucht, und die Besucher entschieden sich für den Kinobesuch trotz Warnung. Wie fesselnd muss ein Film sein damit man diesen Schönheitsdefizit vergisst?

Kuriose Ereignisse und Umständen und ein großes Geheimnis, das gibt es auch in der Neuverfilmung von Verblendung, wo sich das Mysterium allerdings um eine ernstere Gelegenheit dreht. Mikael Blomkvist, Journalist, wird wegen Verleumdung angezeigt und zu einer Haftstrafe verurteilt. Daraufhin zieht er sich offiziell zurück, nimmt aber nebenbei einen detektivischen Auftrag vom Konzernchef Henrik Vanger an: dessen Großnichte Harriet ist vor über 40 Jahren ohne Spuren nach einer Familienfeier verschwunden. Durch Zufall entdeckt Blomkvist, dass er von der geschickten Hackerin Lisbeth Salander überwacht wird. Sie bekam ebenfalls einen Auftrag von Henrik Vanger: überprüfen, ob Blomkvist vertrauenswürdig ist. Beide einigen sich darauf, das eine Zusammenarbeit bei der Aufklärung des Rätsels effektiver ist als alles andere und schließen sich zusammen. Sie finden heraus, dass sie hinter einem Serienmörder sind, wobei es sich um ******** ****** handelt.

Als Mikael eines Morgens Lisbeth dabei erwischt, wie sie seinen Laptop untersucht und sie darauf hinweist, dass er ja alles verschlüsselt hätte, antwortet die gekonnte Hackerin mit einem „Bitte!“ und verdreht die Augen. Blomkvist stellt sich als ungeschickter Detektiv heraus, indem er sich beim Spionieren vom Killer erwischen lässt und in seinem Mörder-Atelier landet. Ich bin währenddessen nur noch körperlich im Kinosaal anwesend, mental -in Schweden- hoffe ich spannungsbeladen auf Rettung für Mikael. Diese kommt auch in Form von Lisbeth an und rettet den in der Patsche geratenen Detektiv. Sie ist der härtere Typ von beiden, die coole Spionin die alles im Griff hat. Halt. Das stimmt nicht ganz. Ihre dunkle Vorgeschichte, die in Verblendung gezeigt wird, legt auf bitterer Weise dar, dass sie nicht immer unschlagbar gewesen ist.

In Verblendung treffen die üblichen Krimi-Zutaten aufeinander: alte Fotografien, Katzen, Notizblöcke, verlassende Gegenden... Manchmal zu dick aufgetragen: Blomkvists durchtrainierte Schultern passen gerade noch so in seinen Detektiv-Mantel und ich habe mich jedes Mal gewundert, dass die Ermittler auf verpixelten Bildern überhaupt etwas erkannten, geschweige interpretieren. Trotz Schönheitsdefiziten hat mich der Film mit überraschenden Wendungen seitens den Charakteren und vor allem der Handlung 153 Minuten lang gefesselt, gequält und in Spannung versetzt. Und mehr erwarte ich von einem Krimifilm nicht. 

18 Januar 2012

Ziemlich beste Freunde

(FR, 2011, R: Olivier Nakache, Eric Toledano)


„Wir müssen pragmatisch denken.“

Dass ein Film auf einer wahren Begebenheit basiert irritiert. Soll das bedeuten, dass sich somit der gesamte Plot, mit oder ohne unlogischen Details, gerechtfertigt, oder dient das nur der Information? Will man damit einen draufsetzen und alles realistischer wirken lassen? Niemand wird niemals wissen, wie es in der Realität passiert ist. Was sollten wir mit einer wahren Begebenheit, die wir nicht kennen, überhaupt anfangen?

Zwischenstop. Phillippe, ein wohlhabender Mann zwischen vierzig und fünfzig, ist quergelähmt und auf der Suche nach einem neuen Pfleger. Heute finden die Vorstellungsgespräche statt, und eine Reihe ausgebildeter Pfleger sitzt brav im Warteraum. Driss, Immigrant aus Senegal, kreuzt bei Phillippe auf weil er von ihm eine Unterschrift für seine Arbeitslosengeld-Unterlagen benötigt. Im Gegensatz zu den artigen perfekt vorbereiteten Kandidaten führt sich Driss grob und großmäulig auf. Phillippe beschließt zunächst aus unerklärbaren Gründen, ihm die Möglichkeit zu geben, bei ihm eine Probezeit als Pfleger zu absolvieren. Driss wird aus seinem alten Leben gerissen und erlebt das Aschenputtel-Wunder. Weg von dem alten Umfeld, gekennzeichnet durch Gewalt, Gefängnis, Zeit zwischen Bierdosen auf der Straße, Arbeitslosigkeit und graue Plattenbauten, und rein in das Luxusleben der Reichen. Doch warum Driss? Er ist taktlos, laut, macht geschmacklose Witze über Phillippes Behinderung und hat keine Manieren. Er ist handgreiflich, nicht qualifiziert und war sogar schon im Gefängnis. Aber er behandelt Phillippe nicht wie einen anderen Menschen. Kein komischer Blick, keine zitternde Hand, keine Angst. Und an diesem Punkt ist Phillippe Driss’ Hintergrund egal. Und spätestens als sich Driss rührend um Phillippe bei einem Phantomschmerzen-Anfall kümmert, zeigt sich dass sich Phillippes Entscheidung die richtige war.

Die letzte Einstellung scheint, durch das andere Bildformat, die echten Protagonisten zu zeigen. Ach ja, es handelte sich schließlich um eine wahre Begebenheit. Die zwei Männer befinden sich auf einer Terrasse, reden und blicken über das Geländer hinaus in die Ferne. Aus ihrer außergewöhnlichen Geschichte hat sich ein einzigartiger Film ergeben. Die letzten Bilder machen mir zwei Dinge klar. Sie erinnern mich daran, dass ich während des Filmes die Tatsache der wahren Begebenheit vollkommen vergessen habe. Unter diesen Umständen wird mir klar, dass die Information über die wahre Begebenheit, zumindest in diesem Fall, überflüssig ist. 


19 Dezember 2011

In Time

(USA, 2011, R: Andrew Niccol)

Pistolen sind kein Spielzeug

Es ist Nacht. Zwei junge Menschen sind von einer langweiligen Party in einer Villa an den Strand geflüchtet und baden im Meer. Der Mond scheint auf die Wasseroberfläche und auf ihrer Haut. Ihre Kleidung liegt am Ufer. Doch eine Sache konnten sie nicht abnehmen und diese stört eine Einstellung durch die grell leuchtende grüne Farbe: eine digitale Zeitanzeige, die beide an ihren Armen eingraviert haben und stark genug ist, um beide von unten zu beleuchten. Es ist unübersehbar: die Zeit ist am ablaufen.
Zeit ist präsent. Zeit ist wertvoll. Zeit ist so wertvoll wie das Leben selbst. Das schlägt Regiesseur Andrew Niccol in In Time vor. Will Salas, ein fünfundzwanzig Jahre jung gebliebener gutwillige Mann lebt in einer in Zeitzonen strukturierte Welt, in der Zeit die Währung ist. Hier stoppt die biologische Uhr bei fünfundzwanzig - der ewig verfolgte Traum der Jugend scheint in Erfüllung zu gehen. Danach läuft die Lebensuhr wortgetreu ab, bis man, beim Nullpunkt angekommen, durch einen dumpfen Todesschlag von innen, stirbt. Unser Held lebt in der ärmsten dieser Zeitzonen. Dort lebt er üblicherweise mit einem Tag Zeit und muss ansehen, wie eilende Menschen um ihn herum an keine Zeit kommen und sterben. Ein paar Zeitzonen weiter bewegen sich die Reichen im Zeitlupentempo und sind langweilige hundert Jahre alt. Die Armen sterben und die Reichen leben nicht. Die Welt ist ungerecht aufgeteilt. Und Will hat sich vorgenommen, diese Welt in Ordnung bringen.
Fortlaufend auf die Uhr sehen zu müssen und nichts anderes im Kopf haben, als an Zeit zu kommen, ist ein ungeheuer gruseliger Gedanke, der in Form eines Science-Fiction/Actionfilms dargestellt wird. Dennoch ist er nicht weit von der realen Welt entfernt. Vielleicht kritisiert Niccol unsere wirre Obsession mit der sinnvollen Zeitnutzung: „Verschwende deine Zeit nicht!“. Hatte Niccol diesen Spruch satt und wollte ihn verwirklichen um zu zeigen, was Zeit wirklich Wert sein kann, oder handelt es sich um eine Kritik des Kapitalismus? In Time: eine faszinierende Idee, ein schönes Geschenk ungeschickt verpackt. Superautos, Schiessereien, Verfolgungen auf Dächern: das gesamte Programm eines Actionfilms wird aufgeboten. Warum wird so ein origineller Ansatz durch so unkreativ, klischeehafte Elemente dargestellt? Vielleicht hätte man sich die übertriebene Verpackung sparen sollen.

CHEYENNE: THIS MUST BE THE PLACE

R: Paolo Sorrentino 
B: Umberto Contarello/Paolo Sorrentino 
D: Sean Penn, Frances McDormand, Judd Hirsch


Ein mittelgrosser, schwarzer Labrador mit rotem Halsband und einem Sanitär- Lampenschirm am Hals rennt heiter im Zickzack in einem grossen, sehr grünen Garten mit einem runden hellen Bodenbrunnen versehen, auf ein ansehnliches hellgraues Gebäude zu. Es folgt ein leichter Schwenk nach oben, der die ganze Villa zum Vorschein bringt. Eine Art kleines Schloss mit grossen, weissen Fenstern mitten im grünen Dublin. Der Filmtitel erscheint in grossen weissen Buchstaben: THIS MUST BE THE PLACE. Dass dies der Ort sein muss, weiss Cheyenne noch nicht. Im Gegensatz zu uns konnte er den Titel nicht sehen. Vielleicht ist das ein Grund dafür, warum dieser mit seiner Ehefrau im Ruhestand lebende Rockstar, der ein Mix aus Edward Scissorhands, Severus Snape, Marilyn Manson, Robert Smith von The Cure und Bela B. von den Ärzten sein könnte, eine Reise in die Staaten beginnt. Dort soll Alouise Lange, ein Naziverbrecher, leben, von dem sein vor kurzem verstorbener Vater lange Zeit besessen war weil er ihn gedemütigt haben soll. Um Aloise Lange zu finden und sich für seinen Vater zu rächen, muss Cheyenne per Auto -denn er leidet unter Flugangst- einmal quer durch Nordamerika reisen und trifft während seinem Road Trip auf verschiedene, mehr oder weniger Fremde. Er hat zwar eine einschläfernd nervige Stimme und bewegt sich wie eine ältere Frau, denkt und handelt aber wie ein unschuldiges Kind und ist, trotz seiner fünfzig Jahre, noch nicht richtig erwachsen. Er ist auf seiner Art mitreissend und fasziniert seine Mitmenschen.
Der Film endet mit Cheyennes Rückkehr nach Dublin. Er kehrt ungeschminkt, mit kurzen Haaren, nicht mehr in Schwarz gekleidet und -zu allem Erstaunen- mit dem Flugzeug nach Hause zurück. Die letzte Einstellung zeigt einen in den Himmel lächelnden, endlich erwachsenen Mann, der nach Hause gefunden hat. Jetzt scheint er auch zu wissen, wo er hingehört.
Mit Cheyenne hat Sorrentino hat eine grossartige Figur geschaffen. Um so ärgerlicher ist es, dass der Plot -zumindest die Darstellung- an vielen Stellen unübersichtlich, schwer verständlich und abstrus ist. Es scheint, als ob Sorrentino vergessen hätte, manche Details der parallel laufenden Geschichten, zu erwähnen. Diese mangelnde Kohärenz und Information wird leider durch den eigenartigen Hauptcharakter, ein fast vergötternder Verweis auf die Post-Punk-Musik der 80er und eine visuell anziehende Farb- und Bildkomposition nicht kompensiert. Es ist vielleicht auch gerade diese die Aufmerksamkeit fesselnde Ästhetik, in der sich Sorrentino verwickelt hat und die seinen Film nicht gelingen lässt.

TYRANNOSAUR – Eine Liebesgeschichte

(GB 2011, R: Paddy Considine)

-Wer sind Sie? 
-Robert de Niro. 
-Wollen Sie etwas zu trinken, Robert? 
-F**k dich. 
-Soll ich für Sie beten? 
Keine Antwort.

Joseph -nicht Robert- ist ein harter Kerl. In den ersten Szenen von Tyrannosaur tötet er seinen Hund Louie und provoziert bei den Menschen in seiner Umgebung immer neue Wutausbrüche. Joseph hat kleine Augen, tiefe Falten und eine raue, spöttische Stimme. Doch sein Blick und sein Verhalten sind eher einem kleinen unartigen Schuljungen zuzuordnen, als einem älteren Mann. Er ist von der Welt und all dem lästigen Hundegebell genervt, merkt jedoch, dass seine gewalteinflössende Art nicht die richtige ist. Er fühlt sich schlecht, flüchtet und endet in Hannahs Wohltätigkeitsgeschäft. Warum gerade bei dieser liebevollen, gläubigen Frau, die sich die Frechheit erlaubt, ihn zu fragen, ob sie für ihn beten soll? Joseph kommt mit so viel Güte nicht klar, fühlt sich durch das Hilfsangebot klein und verletzlich und verpackt Hannahs Leben auf zynischer Art in ein frommes Klischee. Dabei wollte sie nur Gutes tun. Spätestens als sie sich daheim auf dem Sofa schlafend stellt als ihr Ehemann nach Hause kommt und mit dem Lichtschalter spielt, ahne ich dass etwas mit dem stereotypisierten Lebensstil nicht übereinstimmt. Entweder hat sie ein grosses Kind zu pflegen, oder es ist sogar etwas noch schlimmeres. Als der Einblick in Hannahs Leben deutlicher wird, stelle ich fest, dass Möglichkeit zwei zutrifft. Ihr persönliches Inferno wird von einem schmierigen kläffenden Teufel beherrscht, den sie vor einiger Zeit geheiratet hat und der in der Öffentlichkeit mit einer harmlosen und perfekten Maske auftritt. Die Tatsache, dass ihr Mann sie in Wirklichkeit nicht nur physisch verprügelt und missbraucht, macht ihre Angst vor dem Heimkommen verständlich. Hannahs Probleme mit ihrem Mann spitzen sich zu und sie flieht zu Joseph. Was sich als unlogisch offenbart ist, dass sie sich von Josephs Nähe nicht bedroht zu fühlen scheint. Dieser fühlt sich jedoch überfordert: er ist nicht nett und hat auch keine karitativen Intentionen. Zwei Welten treffen aufeinander und eine sonderliche Beziehung entwickelt sich zwischen den beiden, die sie bis an ihre überraschende Grenzen treibt. Gute Menschen können sich auch für einen Gewaltakt als Ausweg entscheiden und selbst die härtesten Kerle brauchen Zuneigung.Tyrannosaur thematisiert das Ende von Beziehungen, eigene Probleme, fremde Probleme, Wutausbrüche, Gewalt und Alkohol. Warum dann dieser Titel ... - Eine Liebesgeschichte? Zwischen Joseph und Hannah entwickelt sich keine romantische Beziehung – eher eine besondere Freundschaft. Hannah und Joseph finden den Mut zur Selbstgerechtigkeit, jeder auf eigener Art. Wenn es Considine bei der Titulierung nicht auf eine Ironie abgesehen hat, dann handelt es sich bei Tyrannosaur um eine andere Art von Liebe. Vielleicht Selbstliebe die dem Gebell -wörtlich genommen oder nicht- ein Ende setzt und einen Neuanfang möglich macht.